Bayern2-Interview von Stefan Kreutzer mit mir vom 25.05.2023. (MP3)

KREUTZER:
Wir sprechen jetzt mal über Menschen mit einem Doppelleben. Menschen denen, wir es nicht anmerken, wenn sie an der Supermarktkasse vor uns stehen. Im echten Leben arbeiten sie zum Beispiel als Handwerker oder Buchhalter – und im stillen Nebenjob sind sie Freiwillige für die Reserve der Bundeswehr. Aber was heißt das eigentlich? Was tun Reservisten? Hier ein Überblick!


EINSPIELER:
Kurz erklärt: Alle Staatsbürger, die mindestens einen Tag lang bei der Bundeswehr gedient, haben gelten als Reservisten. Aber nicht alle können im Verteidigungsfall herangezogen werden. Wer zum Beispiel über 65 Jahre alt ist oder gesundheitlich eingeschränkt ist, fällt aus der Reserve. Bislang hat die Bundeswehr noch niemanden gegen seinen Willen aus der Reserve geholt. Im Ernstfall wäre dies aber möglich. Reservisten könnten im Kriegsfall vielfältig eingesetzt werden. Etwa um Soldatinnen und Soldaten im Einsatz an deren bisherigen Stelle zu vertreten – oder sogar als Verstärkung der aktiven Truppe. Auch wer bislang nicht gedient hat, kann Reservist werden. Etwa durch die Ausbildung zum Reserveoffizier.


KREUTZER:
Ja, dann sprechen wir jetzt mal mit einem Reservisten der Bundeswehr – mit Daniel Gay aus Karlsruhe.
Guten Morgen Herr Gay.


GAY:
Guten Morgen Herr Kreutzer.


KREUTZER:
Jetzt enttarnen wir Sie mal ein bisschen. Sie sind im normalen Leben Geschäftsführer einer Werbeagentur. Ein Bürojob also. Wann haben Sie sich denn entschlossen den Anzug mit Flecktarn zu tauschen? Also was war bei Ihnen so der Auslöser zu sagen: ich mach das?


GAY:
Tatsächlich muss ich dazu etwas ausholen: und zwar hatte ich vor 20 Jahren verweigert und dann war mir die Bundeswehr auch die letzten Jahre eigentlich ziemlich egal. Dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird und solche Geschichten – waren für mich völlig abstrakt und auch gar nicht nachvollziehbar. Und erst eigentlich durch den Angriffskrieg auf die Ukraine im vergangen Jahr ist mir das eigentlich bewusst geworden… Dass das nämlich genauso gut auch hier bei uns passieren kann. Und dann bin ich irgendwie aufgewacht und so habe ich dann angefangen mich dafür zu interessieren und mich damit intensiv auseinandergesetzt.


KREUTZER:
Und wie läuft so etwas dann konkret – also diese Ausbildung eines Spätberufenen bei der Bundeswehr? Was passiert dann da genau?


GAY:
Man muss da unterscheiden – es gibt verschiedene Modelle, wie man dann soetwas machen kann. Der Vorteil an der Ausbildung für Ungediente ist eben, dass es parallel zum Berufsleben stattfinden kann. Das ist je nach Bundesland dann ein bisschen unterschiedlich. In Rheinland-Pfalz ist es beispielsweise so, dass es zwei längere Module sind und in Baden-Württemberg ist es so, dass es über die Wochenenden verteilt ist… Also es ist sehr unterschiedlich, aber es ist so, dass es eben mit dem zivilen Leben vertretbar und realisierbar ist.


KREUTZER:
Das heißt, über einen gewissen Zeitraum haben Sie dann parallel neben Ihrem Job noch so ein paar Kurse gemacht?
– Auch an der Waffe nehme ich an?


GAY:
Genau. Ja, natürlich. Also – man bekommt, sag ich mal, eine stark komprimierte Grundausbildung. Die Inhalte sind vergleichbar mit dem was man auch als Wehrpflichtiger sozusagen gemacht hätte oder auch heute noch in der Grundausbildung erlernt.


KREUTZER:
Und Ihnen ist klar, Sie können, wenn es hart auf hart kommt, auch einberufen werden?


GAY:
Ja. Das ist ja auch Sinn und Zweck der ganzen Geschichte!


KREUTZER:
Ist das dann auch etwas wo man sich dann aber auch überlegt. – So manchmal, wenn sich im Schlaf so wälzt. Puh! War das wirklich so richtig? Dass einem dann so Zweifel kommen?


GAY:
Das ist natürlich keine leichte Entscheidung. Also man muss sich das auch vor Augen halten. Ich habe selbst drei kleine Töchter, Familie, Verpflichtungen – aber gerade deshalb ist es mir eben wichtig etwas zu tun. Und wir müssen etwas tun in Deutschland für unsere Sicherheit. Und ich versuche da eben meinen Beitrag zu leisten.


KREUTZER:
Also ich kann mir vorstellen, das ist dann schon eine Entscheidung, die man mindestens zu zweit zu Hause bespricht und alles mal so abwägt. Warum tust du dir das an? Warum riskierst du das im Zweifel? Solche Fragen wahrscheinlich…


GAY:
Es ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass die Partnerin oder der Partner da auch voll dahinter steht. Weil den „Kampf“ zu Hause, den möchte man dann nicht immer auch noch führen müssen. Aber es ist denke ich auch wichtig, da klar zu machen, dass es jetzt keine Freizeitbeschäftigung ist, kein Hobby, dass man da jetzt irgendwie am „Wochenende zelten geht“ oder „Rumballern“… – sondern da steckt viel mehr dahinter. Und das hat meine Frau glücklicherweise auch sehr schnell verstanden und die ist da mit mir quasi auf einer Linie – und deshalb kann ich das überhaupt auch machen.


KREUTZER:
Glauben Sie denn, späte, freiwillige Reservisten – so wie Sie – werden das Personalproblem der Truppe lösen – auf kurz oder lang?


GAY:
Nein. (lacht) Also da bin ich, denke ich, realistisch genug um sagen zu können, dass das nicht der Fall ist. Im Jahr 2023 hatte das Programm einen enormen Zuwachs. Es haben sich sehr viele Menschen gemeldet, als Zahl habe ich da die 500, ungefähr 500 Personen, sind es. Das ist, mehr oder weniger, ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber man muss ja auch immer noch dahinter sehen, dass eben diese Reservisten – zu denen wir dann ausgebildet werden – eben auch immer Multiplikatoren sind. Das heißt, so eben die Hoffnung, dass eben dadurch die Bundeswehr wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommt. – Und das ist auch eine sehr wichtige Aufgabe.


KREUTZER:
Glauben Sie das ist mittlerweile so, dass sich das Verhältnis der Deutschen zur Armee etwas geändert hat? Gerade auch durch die aktuellen Ereignisse in Europa?


GAY:
Ich habe da vielleicht selbst auch so, mittlerweile, die rosarote Brille auf – was so etwas betrifft. Also ich kann das mittlerweile nicht mehr so gut einschätzen. Aber ich würde schon sagen, dass sich das gewandelt hat, allein durch das Angebot an Nachrichten, Podcasts,… und ja ich glaube schon, dass sich das Interesse der Gesellschaft da gewandelt hat.


KREUTZER:
Ich habe in der Recherche gesehen. Sie betreiben auch einen Blog unter www.ungedient.de – was thematisieren Sie da genau?


GAY:
Da geht es um meinen Weg, den ich vom ungedienten Kriegsdienstverweigerer zum Reservisten darstelle und nachzeichne – und auch über meine Hürden spreche und meine Erkenntnisse…


KREUTZER:
So eine Art Tagebuch, ein bisschen?


GAY:
Ja, so ein bisschen. Und eben auch die bürokratischen Herausforderungen mit denen man sich dann konfrontiert sieht, schon beim Bewerbungsverfahren. Also da gibt es auch, sage ich mal, Möglichkeiten das ganze ein bisschen zu „optimieren“. (lacht) Und das spreche ich eben dann auch an.


KREUTZER:
Ah, super! Also auch mit ganz viel Interaktion dann wahrscheinlich? Also wo Menschen was reinschreiben können und Sie dann antworten und so?


GAY:
Ja, mittlerweile hat sich schon eine kleine Community, wir nennen uns auch ganz gerne, Selbsthilfegruppe gebildet, die dann für einander da ist und sich Tipps gibt. Und es ist mittlerweile nun auch so, dass wir uns im zweiten Jahr befinden und so auch die Neuen, die jetzt noch ganz am Anfang von ihrer Bewerbungsphase stehen, dass man die eben sehr gut unterstützen kann. Und von daher ist das ein toller Mehrwert.


KREUTZER:
Zusehen ist was für andere. Wenn’s hart auf hart kommt, dann will ich auch mit anpacken, sagt sich Daniel Gay, er selbst ist Geschäftsführer einer Werbeagentur und er hat sich entschieden: ich werde Freiwilliger für die Reserve der Bundeswehr. Was da dran hängt und wie das genau funktioniert, das hat er uns soeben erklärt. Herr Gay, Ihnen alles Gute und viel Glück, bei allen Ihren Entscheidungen.


GAY:
Vielen Dank, Herr Kreutzer.

Daniel absolvierte die Ausbildung für Ungediente 2023 in Rheinland-Pfalz und ist seitdem in einer Heimatschutzkompanie beordert. Er arbeitet als Reservistendienstleistender in einer Projektgruppe des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr und engagiert sich als einer von zwei Beauftragten der Landesgruppe Baden-Württemberg des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr für die Ausbildung Ungediente. Daniel ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.

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