Buttjer Freimann, ehemaliger Bundeswehrsoldat und erfahrener Pionier, schloss sich nach der russischen Invasion 2022 der Legion in der Ukraine an, wo er als Combat Engineer an wichtigen Frontabschnitten diente. In seinem X-Account gewährt er anonym Einblicke in seine Erlebnisse, militärische Expertise und persönliche Eindrücke. Ohne Namen, Orte oder genaue Daten zu verraten, bleibt er seinem Prinzip treu, die Privatsphäre seiner Kameraden und sich selbst zu schützen.
Open Source Intelligence
In den letzten Jahren hat OSINT – Open Source Intelligence, also die Informationsgewinnung aus frei zugänglichen Quellen – stark an Bedeutung gewonnen. Für militärisch Interessierte und solche, die es werden wollen, bietet OSINT Einblicke in aktuelle Konflikte und dynamische Entwicklungen. Doch wie sieht die Realität dieser offenen Quellen aus? Ein Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen von OSINT – und warum Qualität oft viel wichtiger ist als Quantität.
OSINT: Was ist das eigentlich?
OSINT bedeutet, öffentlich zugängliche Daten wie Nachrichten, Bilder und Videos zu analysieren und sinnvoll zu verknüpfen. Im Unterschied zu klassischen Geheimdiensten, die oft auf direkte Informationsquellen wie Personenaussagen setzen (HUMINT), sammelt OSINT Informationen, die für jeden verfügbar sind – ob durch Online-News, Social Media, oder, wie in einem Beispiel von 2021, durch ein Tanzvideo auf YouTube. Eine Frau in Myanmar filmte ihren Tanz vor dem Parlamentsgebäude (siehe GIF), und ganz nebenbei dokumentierte sie dabei den Putsch der Militärs, was internationale Beobachter alarmierte. Solche unabsichtlichen Schnappschüsse bieten wertvolle Informationen – doch sie müssen sorgfältig überprüft und interpretiert werden.
Die frühen Tage des Ukraine-Konflikts – Eine Blütezeit für OSINT
Zu Beginn des Ukraine-Krieges boomte die OSINT-Szene, und viele Militärenthusiasten begannen, die Bewegung von Fahrzeugen, Einheiten und Abzeichen zu analysieren. Twitter und andere Plattformen waren voll von Analysen, die Truppenstärken und Bewegungen in bestimmten Regionen einschätzten. Mithilfe von Autobahn-Webcams und selbst TikTok-Posts wurden Einheiten lokalisiert und sogar Hinterhalte koordiniert. Das war die „Goldene Ära“ der OSINT-Szene, als fundierte Berichte und Hinweise geteilt wurden.
Doch mit der Zeit begannen sich auch viele „Armchair Generals“ zu Wort zu melden – Accounts, die ohne viel Ahnung Karten und Fotos interpretierten und wilde Einschätzungen zu Schlachtverläufen abgaben. Eine echte OSINT-Analyse erfordert Zeit und Fachwissen, während viele dieser Posts einfach nur Wunschdenken waren. Ein klassisches Beispiel: eine „Analyse“, die behauptete, ukrainische Truppen würden russische Einheiten in Bachmut einkesseln – eine Einschätzung, die sich als völlig realitätsfern herausstellte.
Die Realität hinter Jubel-OSINT
„Jubelaccounts“ sind ein häufiges Phänomen auf Plattformen wie Twitter. Diese Accounts konzentrieren sich auf positive Nachrichten und Szenen, in denen die Gegenseite Verluste erleidet. Natürlich haben sie viele Anhänger, denn wer möchte nicht sehen, wie „die anderen“ einen Rückschlag hinnehmen müssen? Doch diese einseitige Berichterstattung verzerrt das Bild der Realität. Denn in jedem Konflikt gibt es Verluste auf beiden Seiten, und Jubel-OSINT wird schnell gefährlich, wenn sie die tatsächliche Lage unterschätzt und dadurch unrealistische Erwartungen weckt.
Für eine umfassende Einschätzung beobachtet Buttjer lieber auch russische Seiten, nicht aus Sympathie, sondern um die tatsächliche Stärke und Taktik der Gegenseite einzuschätzen. In einem umkämpften Gebiet kann dies den Unterschied ausmachen – ein praktischer Ansatz, der die Realität oft genauer abbildet als überschwängliche Meldungen.
Die dunkle Seite der offenen Quellen
OSINT kann leicht zur Waffe werden. Ein erschreckendes Beispiel dafür ist die RIA-Pizza Lounge, die ein Ziel für einen Raketenangriff wurde. Anfangs noch ein beliebter Treffpunkt für Soldaten und Journalisten, geriet sie schnell ins Visier der Gegenseite. Fast jedes Bild, das dort geschossen wurde, enthielt einen Soldaten im Hintergrund, was sie zu einem offensichtlichen Ziel machte. OSINT ist eben nicht nur der „gute Spion“, sondern kann auch Schwachstellen offenlegen, die tödliche Konsequenzen haben.
Für Buttjer gilt daher eine strikte Selbstdisziplin: keine Bilder, keine Hinweise, die einen weiteren Informationswert liefern. Denn jede Kleinigkeit kann, wenn sie in die falschen Hände gerät, zur Gefahr werden. Die Gegenseite beobachtet auch.
Das Wichtige vom Unwichtigen trennen
Viele OSINT-Analysen kranken, laut Buttjer Freimann, daran, dass die Informationsflut die tatsächliche Relevanz von Ereignissen verdeckt. Ihn interessiert nicht, was ein Politiker von sich gibt oder ob an der Südfront ein Hundezwinger eingenommen wurde. Wer an vorderster Front aktiv ist, hat einen viel detaillierteren Blick auf die Lage als eine Karte im Netz jemals bieten kann. Die wirklichen Schlüsse für die eigenen Operationen zieht er aus Erfahrungen und Einsätzen vor Ort.
Qualität statt Quantität
OSINT kann gewaltige Einblicke liefern, wenn sie fundiert und professionell angewandt wird. Doch die heutige Szene hat sich verändert: Es zählt, nicht die Menge an Informationen zu teilen, sondern die Qualität und Tiefe der Analyse. Es braucht Erfahrung und Fachwissen, um sich im Datendschungel zurechtzufinden, der manchmal mehr Illusionen als Tatsachen produziert.
Letztlich zeigt OSINT uns: nicht jede Nachricht ist es wert, geteilt zu werden, und nicht jede „Analyse“ hält der Realität stand.